Olena Selenska auf der "Vogue"

Cover-Politik

Das "Vogue"-Cover der ukrainischen First Lady Olena Selenska hat heftige Diskussionen ausgelöst. Zeigen die Bilder eine moderne Heldin oder ist ein Fashion-Shoot im Kriegsgebiet geschmacklos? Es ist viel komplizierter, denn Mode ist nur Mittel zum Zweck

Foto: Annie Leibovitz / Courtesy Vogue "Vogue"-Cover mit der ukrainischen First Lady Olena Selenska, fotografiert von Annie Leibovitz

Foto: Annie Leibovitz / Courtesy Vogue

"Vogue"-Cover mit der ukrainischen First Lady Olena Selenska, fotografiert von Annie Leibovitz

Mode und Krieg – das ist ein schwer zu vereinendes Paar. Als der Angriff auf die Ukraine am 24. Februar begann, fiel er direkt in die Pariser Modewoche. Die Anwesenden in der französischen Hauptstadt ignorierten das Geschehen, bis es sich nicht mehr ausblenden ließ - und wurden harsch kritisiert für ihr heiteres, chic angezogenes Treiben, während gut 2000 Kilometer weiter östlich Städte zerbombt wurden, Menschen flohen und starben. Erst Balenciagas Creative Director Demna Gvasalia (der nur noch Demna genannt werden will) gelang es am 6. März, einen akzeptablen Bogen zwischen den beiden Extremen zu spannen. Der selbst aus Georgien geflohene Designer widmete seine Herbst-Winter-Kollektion allen Flüchtenden und Geflüchteten, inszenierte einen künstlichen Schneesturm und gegen ihn ankämpfende Models, mit Plastiktüten bepackt. 

Balenciaga steht auf Platz zwei der hottesten Modemarken weltweit, gleich nach Gucci. Die oft extremen, polarisierenden Entwürfe werden gehypt, kopiert und vor allem eifrig gekauft. Dies nutzt Demna nun für den guten Zweck. Er motiviert seine weitreichende Fan-Gemeinde und persönlichen Unterstützer, knapp fünf Monate nach der rusiischen Invasion den andauernden Angriffskrieg nicht zu vergessen und gleichzeitig die Ukraine finanziell zu unterstützen: Am Donnertag wurde der 41-Jährige als Botschafter für United24 ernannt, die vom ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj ins Leben gerufene Fundraising-Plattform zugunsten der Ukraine. Der Screenshot eines Online-Calls von Demna und Selenskyj begleitete die Nachrichten, Demna mit Cap, im schwarzen Hoodie, Selenskij im khakifarbenen T-Shirt.

Gleichzeitig wurde im Rahmen der Partnerschaft auf Balenciagas Website das "Charity T-Shirt" herausgebracht: Ein schwarzes Longsleeve mit einem "Ruhm der Ukraine"-Slogan, dem Print der ukrainischen Flagge auf der Vorderseite und einem QR-Code auf dem Rücken. Wird dieser eingescannt, öffnet sich die Balenciaga-Website im Browser, genauer: die Seite des Chari-Ts, das für 200 Euro erworben werden kann. Ein T-Shirt, im T-Shirt, im T-Shirt. Darunter ist ein direkter United24-Spenden-Link. Hundert Prozent der Nettogewinne aus dem Verkauf des Shirts sollen an den Fonds Ukraine Recovery gehen. Dieser setzt sich für die Wiederherstellung wichtiger Infrastrukturen im Land ein, so United24 in einer Erklärung, darunter Krankenhäuser, Schulen und Straßen. 

Lange gab es nur das Khaki-Shirt

Doch zurück zu dem T-Shirt in Khaki. Lange Zeit war es das Kleidungsstück, das man mit der ukrainischen Präsidenten-Familie assoziierte. Es stand für einen unprätentiösen, kämpferischen, mutigen Wolodymyr Selenskyj, der zu seinem Volk spricht, an die Welt appelliert, sich Russland in den Weg stellt. Seit letzter Woche jedoch gibt es eine ganze Menge Google-Ergebnisse unter den Suchbegriffen "Selenska + Vogue" – die Mode im Krieg, da ist sie wieder. Ukraines First Lady Olena Selenska ziert das digitale Cover einer Kollaboration der Condé Nast-"Vogues" und der "Vogue Ukraine", die Print-Publikation wird später in diesem Jahr erscheinen. Die Magazin-Fusion interviewte die Präsidenten-Gattin für ein "Porträt der Tapferkeit"und schoss dazu eine Fotostrecke von Selenska und Selenskyj – die seither viel Kritik ausgesetzt war.

Olena Selenska in einem blauen Mantel, dessen Revers sie am Hals zusammen hält, neben ihr Soldatinnen am Flughafen Antonov, hinter ihnen ein zerbombtes Flugzeug. Im schwarzen Rollkragen-Pullover in den Armen ihres Mannes. Händchen haltend mit ihm am Tisch sitzend, allein auf den marmornen Stufen des Präsidialpalast, hinter ihr türmen sich Sandsäcke. Die Bilder ähneln absurden Gemälden. Eine Modestrecke im Kriegsgebiet? Nein, eine Modestrecke im klassischen Sinne ist es nicht. Es fehlen die Credits, die Modemarken am Rande der Fotos. Nur in einer einzigen Zeile unter einem Foto wird darauf hingewiesen, dass Selenska ausschließlich ukrainische Designer trägt, und deren Namen werden aufgeführt. Es geht also nicht darum, Kleidung zu verkaufen.


Die Bilder wurden von Annie Leibovitz aufgenommen. Die gefeierte Fotografin arbeitet seit langem regelmäßig für die "Vogue" und ist gerade für ihre dramatischen Celebrity-Bilder bekannt. "Ich glaube nicht mehr daran, dass es so etwas wie Objektivität gibt. Jeder hat einen Standpunkt. Manche Leute nennen das Stil, aber in Wirklichkeit geht es um den Kern eines Fotos. Wenn man seinem Blickwinkel vertraut, fängt man an zu fotografieren,“ sagte sie einmal. Es ist ein Balanceakt, Fotos für ein Modemagazin in einem Kriegsgebiet aufzunehmen, ohne die Szenerie zu einer makaberen Kulisse werden lassen. Ob es in diesem Fall geglückt ist oder ein massiver PR-Fail des sonst so überzeugenden Präsidenten-Paares, darüber streitet das Internet seit der Veröffentlichung der Bilder. 

Ikonisches Foto oder PR-Fail?

So schrieb ein US-amerikanischer Twitter-User: "Wir sollten der Ukraine weiterhin wöchentliche milliardenschwere Hilfspakete schicken, um die 'Demokratie' zu schützen. Stellt es nicht in Frage." Eine weitere Userin zwitscherte: "Riesige Anzahl ukrainischer Soldaten, die jeden Tag sterben, Selenskij: 'Lasst uns ein Mode-Shooting veranstalten'." Die ukrainische Aktivistin Val Voshchevska hingegen analysierte das Cover der Präsidenten-Gattin unter der Überschrift "Warum dies ein ikonisch-feministisches Foto von Olena Selenska ist". 

Diese sitzt auf dem vieldiskutierten Bild in in heller Bluse, schwarzer Hose und flachen schwarzen Schuhen auf der Treppe des Präsidialpalasts. Der schreiend schlichte Look scheint zu flüstern: "Es geht nicht um mich!" Die 44-Jährige trägt kaum Make-Up, hat ihre Hände ineinander verschränkt und stützt ihre Unterarme auf ihre Oberschenkel. Ihr Blick trifft den des Betrachtenden, ist ernst, entschlossen, erschöpft.

Voshchevska erklärt die Kulisse: "Was hier den Unterschied macht, sind die Sandsäcke zwischen den Marmorsäulen hinter ihr, die unsere kulturellen und historischen Monumente vor Russlands Zerstörung beschützen sollen." Die Pose: "Ihr Körper ist entspannt, und sie versucht nicht, irgendwer für irgendwen zu sein. Sie ist eine stinknormale Person, die auf einer Treppe sitzt." Der Look: "Ja, es ist sehr letztes Jahrhundert, das Aussehen einer Frau zu beurteilen, [...] aber in diesem Moment ist ihr Look ein eigenes Statement." Und der Blick: "Olena schaut uns direkt an, weil sie keine Angst hat, der Welt zu zeigen, dass sie eine starke und mutige Frau ist."

Mode ist ein Kommunikationsinstrument

Eins ist klar: Die Bilder haben einen schockierenden Effekt. Man spürt eine Dissonanz, ein Unbehagen,  wissend, wo sie entstanden sind. Gerade, da man um das Massaker von Butscha weiß, ein Ort, der nur wenige Kilometer von der Shooting-Location entfernt ist, und immer noch jeden Tag ukrainische Soldaten und Zivilisten sterben müssen, genau hier. Einen so "legeren", auf gewisse Art und Weise losgelösten Einblick in einen schwer verwundeten Ort zu erhalten, fühlt sich seltsam an. Als müsse alles Übel dieser Welt alleine vor sich hinsiechen, jeder Kontakt zur "normalen" Welt, die sich ganz offensichtlich weiter dreht, gekappt werden. 

Doch das ist nicht alles. Viele wurmt beim Betrachten dieser Bildstrecke am meisten, dass sie unter dem Stern der Mode steht. Und Mode, obwohl sie einen großen Part der Popkultur ausmacht, wird noch immer als ein zutiefst oberflächliches Medium und nicht ernstzunehmende Möchtegern-Kunst angesehen. Dabei ist sie nicht nur ein kulturelles Gut, sondern auch ein Kommunikations-Instrument, eine global Sprache, die selbst im Kriegsgebiet eingesetzt wird (wir erinnern das khakifarbene T-Shirt, das ist keine unüberlegte Wahl). 

Gerade zu Beginn des Krieges wurden durch Mode Solidaritätsbekundung gezeigt, Menschen trugen Gelb und Blau, die Farben der ukrainischen Flagge. Und jetzt, wo vielen der Ukraine-Krieg schon wieder fast aus dem Gedächtnis entglitten ist, wird man wieder daran erinnert - durch ein Balenciaga-T-Shirt, das ziemlich sicher für eine gigantische Spendensumme sorgen wird. 

"Es war meine Pflicht, sie direkt anzusprechen"

Und durch Olena Selenska, die sich entschieden hat, dass fast jeder Weg, die Aufmerksamkeit der westlichen Welt auf ihr leidendes Land zurückzulenken, der richtige ist. So sagte sie der BBC, als ein Interviewer sie um eine Erklärung für ihre Entscheidung bat: "Millionen Menschen lesen die 'Vogue', und es war meine Pflicht, sie direkt anzusprechen." Und fügte hinzu: "Ich glaube, es ist wichtiger, etwas zu tun und dafür kritisiert zu werden, als nichts zu tun.“


Olena Selenska und ihr Mann haben ziemlich sicher andere Sorgen, als die Inszenierung ihrer selbst – auch wenn Wolodymyr Selenskij als ehemaliker Komiker aus der Unterhaltungsbranche kommt. "Ich mag es, im Hintergrund zu bleiben – das hat zu mir gepasst. Ins Rampenlicht zu treten, war für mich ziemlich schwierig,“ sagte Olena Selenska der "Vogue". Es gehe ihr nicht darum, sich als Mutter einer Nation weichzeichnen zu lassen, die Zerstörung als interessanten Backdrop zu nutzen. 

"Giving Marie Antoinette", das wäre extrem geschmacklos gewesen, doch "schließlich sitzt sie nicht in einem Ballkleid und isst Kuchen. Sie befindet sich in einem Kriegsgebiet und wirkt verstört", wie es Vanessa Friedman in der "New York Times"zusammenfasst. Selenska spiegelt uns, wie ihre Realität noch immer aussieht. Es geht nicht um Kleidung, und es geht nicht um die "Vogue". Es geht darum, Vergessen und Verdrängung zu verhindern.

Dieser Artikel erschien am 31.07.2022 auf monopol-magazin.de

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