Die Mode, ein Italienisches Erbstück
In Florenz kann man nicht overdressed sein. Gerade im historischen Stadtzentrum, in dem samstags die Scharen einen Spritz in der Via de’ Tornabuoni trinken, wochentags geschniegelte Anzugträger um die Ecke kommen, fallen Frauen in langen Satinkleidern, Herren mit Fliege und Kinder in weißen Rüschen nicht auf - sie sind die Norm. Touristen in Trekking-Schuhen, Rucksäcken und Allzweckjacken sind es, die herausstechen. Schlips, Hüte und Lackschuhe, Prada-Taschen, Kostüme und rote Lippen gehören zum Stadtbild wie die sanft-gelben Hauswände. Sich gut zu kleiden, für sich selbst und all die, die einem begegnen, zeugt von Respekt und die Florentiner schätzen es sehr. Die Mode, deren Industrie vielen hier die Miete bezahlt, gehört zum Kulturgut, wird als eine Kunst gefeiert und stolz getragen - von allen auf unterschiedliche Art und Weise. In OItrarno, auf der anderen Seite des Flusses, erleben die 70er Jahre gerade eine Renaissance bei der „Bohemien Bourgeoisie“. Junge Künstler und die, die es gerne wären, sitzen in Samt-Schlaghosen und teuren Vintage-Ledermänteln auf der Treppe vor der Kathedrale Santo Spirito, spielen Gitarre und trinken Rotwein. Im Sommer stolzieren sie Barfuß in zarten Seidenkleidern und Leinen-Anzüge umher.
In Sant’Ambrogio ist die Uni nicht weit, und so ist der Stadtteil von jungen Zugezogenen besiedelt, die die Second-Hand-Geschäfte plündern und die Garderobe italiensicher Großeltern auftragen - üppige Wollmäntel, hochgekrempelte Cordhosen, übergroße Blazer und Kaschmir-Schals. Dank mehrerer Standorte internationaler Universitäten und der privaten Modeschulen in Florenz, sind auch viele asiatische Studierende in der Stadt, die den Peak der modischen Rangfolge bilden. Mit klobigen, futuristischen Sneakern und Cape-artigen Gewändern tragen sie die hier noch lange nicht angekommenen, avantgardistischen Trends der Zukunft - unantastbar spacig. Die Uniform der italienischen Teenies hingegen greift den elastischen Jogger-Chic aus
Leggings und bauchfreiem Stretch auf, der Online omnipräsent ist. Gleichzeitig sind sie auf sympathische Weise ins vorletzte Jahrzehnt zurück gekehrt und tragen ihre Edding-bekritzelten Eastpacks so tief sitzend wie möglich, an den Füßen den Adidas „Superstar“. Geschäftsmänner lieben dünne, dunkle Steppjacken und farbige Socken in Loafern, ältere Damen tragen ohne zu zögern ihre Echtpelzmäntel, jedes Make-Up sitzt perfekt und graue Haare sieht man wenn überhaupt an Menschen über achtzig. Und die sind meine Favoriten. All ihre modischen Etappen, ihr lang gereifter Geschmack und ihre Wertschätzung für klassische, Italienische Marken stecken in ihrem fein-kombinierten Aufzug. Wenn Nonno und Nonna, sich gegenseitig stützend, durch die Gassen spazieren, ist ihre Kleiderwahl delikat. Die alten Florentiner verkörpern ein Stilbewusstsein, das nicht zu imitieren ist, sondern wie angeboren scheint, so nonchalant wirken sie. Ich bewundere die roten Sportschuhe zum orangenen Mantel, das gemusterte Seidentuch ums Haar, den karierten Anzug, in den rosa Strümpfe münden. Und die antike Gucci-Tasche in der Armbeuge, die wohl über Generationen vererbt wurde, so wie der gute, italienische Geschmack. Haben die Glück.
Diese Kolumne erschien am 27. Februar 2021 in der Tageszeitung HNA