That’s normal Darling, it’s Italy!

Pioggia pioggia – Numero Tre

In Florenz ist die Regenzeit angebrochen. Ich stehe an der gläsernen Balkontür und schaue auf einen kleinen tropischen Hinterhof-Wald aus Palmen, Laub in verschiedenen Grüns und einem Garagendach. In dem verwilderten Garten sammeln sich die Tropfen in einem romantischen Steinbassin, das mittlerweile schon überschwappt und vielleicht bald das nächste Amazonasdelta eröffnet. Ich haste frierend mit Regenschirm durch die Innenstadt, vorbei an amerikanischen Touristengruppen die den sonnengetränkten Bella Italia Vibe mit Hotpants und cropped Top zu ertrotzen versuchen. Ich biege um eine Kurve und drohe mit dem mir entgegenkommenden Parapluie zusammen zu stoßen, als der junge Signor in letzter Sekunde seinen Schirm behende über meinen hebt, während er mich einen Moment zu lange anschaut und dann zwischen Wassermassen und Reisegruppe Numero hundert verschwindet.

Regenwald-Feels über den Dächern von Firenze

Regenwald-Feels über den Dächern von Firenze

Wann ist eine Stadt ein Zuhause? Wann lebe ich in ihr, wann besuche ich sie, wann bin ich Durchreisender und wann wirklich Bewohner? Muss ich das optimale Apartment gefunden haben, müssen mehr als zwei Personen als Geburtstagsgäste zur Verfügung stehen oder der Tabacchi-Verkäufer ungefragt eine Packung Marlboro light auf den Tresen legen? Kann ich überhaupt an einem Ort ankommen, wenn ich weiß, dass meine Zeit dort endlich ist, ich in Monaten und nicht Jahren rechne und schon meinen nächsten Aufenthaltsort ausfindig zu machen versuche, während die sechzigjährige Stimme in meinem Kopf schreit, dass ich doch bitte die Zeit genießen und so viel mitnehmen solle, wie geht? “Der Nove Sette-Mann hat mich gegrüßt, ich bin angekommen!” rief Freundin E. vor kurzem strahlend, als der Inhaber des studentenfreundlichsten Aperitivos der Stadt sie auf der Straße mit einem kleinen Winken zur Kenntnis nahm. Vielleicht ist es so einfach.

Vielleicht ist es auch an der Zeit, bestimmte Erwartungen, Werte und Gewohnheiten abzustreifen wie geringelte Satinhandschuhe und zu akzeptieren, dass all diese auf italienischem Boden keinerlei Bedeutung haben. Punkt bedeutet zwanzig nach, Mai bedeutet Rollkragenpullover und Steppjacke (Italiener lieben dünne Steppjacken), junge Menschen verspüren spontan den dringenden Wunsch, sich nach ihrer Karriere in Maschinenbau der Mode zu widmen und zahlen dreißigtausend Euro für einen Master in Fashion, ohne das Wort Lookbook zu kennen. Verrückt, wie urplötzlich so ein Lebenstraum auftaucht und keine Zeit für ein branchennahes Praktikum bleibt. Wenn du völlig verfroren im ungedämmten Zimmer mit Steinboden aufwachst, erwarten dich What’s App Nachrichten einer Professorin, die zum Afterhour Drink nach dem Unterricht einlädt. Ein Aufruf dem du folgst, leicht verwirrt von dieser ungewöhnlichen, möglichen Grenzüberschreitung ihrerseits. Dort redet ihr freundinnenmäßig über das sehr wichtige Thema Jungs, als die asiatische Kommilitonin von dem traumatischen Erlebnis berichtet, wie ein Italiener sie einfach so auf der Straße angesprochen hatte, flirtmäßig, eine Geschichte, die sie noch nicht ganz verwunden zu haben schien. “Thats normal Darling, it’s Italy”, antwortet Professoressa mit einem haifischigen Lächeln.

Und ich versuche, das nicht wie eine Drohung zu verstehen.

50B5FDCA-C0D3-44F8-AB7E-150B9C020580.jpg

Vielleicht lässt sich so einiges legitimieren, einfach, weil es in Italien statt findet. Vielleicht trinke ich jetzt, um eins, einen kleinen Rotwein auf dem verregneten Balkon.

Zurück
Zurück

Balkonreiches Leben in Spanien

Weiter
Weiter

Dalla Strada