Solo una pausa

Mi manca mi manca – Numero Sei

Auf der Piazza San Pier Maggiore steht jeden Tag ein kleiner Marktstand mit Zitronen frisch vom Baum, Oliven und dem Gemüse der Saison. Schräg gegenüber ist ‘The Lions Fountain’, ein Ort, der tagsüber ausgeblendet werden kann und nachts eher nicht, da die überdachte Terrasse dann überfüllt ist mit randvollen Amerikanern und Engländern. Die kamen mal für die Übertragung eines Rugby Spiels und haben sich entschieden zu bleiben. Richtung Arno beginnt die Via Matteo Palmieri, sie teilt kleine Trattorien und Aperitivo-Plätze von einander, am Straßenrand stehen rasch geparkte Fahrräder. ‘Ehi, Sandwich Vegetariano!’ ruft mir der Besitzer von ‘Il Cocollo – Fritti e Cornetti’ zu. Wir kennen uns von seiner Panineria ein paar Straßen weiter und ich winke ihm zu. Auf der rechten Seite kommt nach ein paar Schritten eine mini Riparazione Calzature, der launige Schuster hat meine Stiefel winterfest gemacht. Die  Piazza Santi Simone ist mein Liebling und die zwei kleinen Steinbänke in der Mitte wahrscheinlich ihr wichtigstes Gut, obwohl es hier auch eine Kirche gibt, in der ich aber noch nie war. Auf einer dieser beiden Bänke sitzt man im besten Falle mit der besten Freundin am frühen Abend im Sommer und isst Riso-Eis von der besten Gelateria der Stadt, Vivoli, auf die man gerade schaut, oder auch auf das schräge Fischtherapie-Zentrum nebenan. Bei Vivoli kriegst du einen Amaro an einem trüben Tag, ein Cornetto auf dem Weg zur Bibliothek, eine Flasche Aqua Frizzante wenn du vergehst, immer einen Caffè an der Bar oder eben Mousse Cioccolato, Amaretto, Mousse Lampone, Cioccolato Ricco, Pistacchio, Nocciola in coppetta. Je nach Gusto. Bei mir wissen sie aber – Riso. Ich habe schon zwei Aschenbecher geschenkt bekommen mit dem Vivolilogo, es enthält die Kuppel des Duomos als Eiskugel. Grazie Piero Vivoli, Ti amo tanto.

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Da hier früher das Amphitheater stand,  schlage ich ein in eine kleine und düstere Kurve – aber in Florenz habe ich niemals Angst. Rechts von mir war mal I’Chiodo, ein Secondhandgeschäft, in dem ich eine Jacke aus echtem Kamelhaar für zehn Euro bekommen habe, wahrscheinlich ein Grund, warum es nun chiuso ist, per sempre. An einem Häuschen schimmert in grünen Leuchtlettern ‘Hotel’ vom Hotel Santa Croce, in dessen Eingang Mario steht und eine Zigarette raucht. Mario hat meine Eltern vor verkommenen AirBnb Zimmern gerettet und mich täglich zum Colazione eingeladen. ‘Du kannst immer zu uns kommen’ hat er gesagt. Er fragt mich jedes Mal, wie es mir geht und sagt ‘Saluti ai tuoi genitori’ und das mache ich, wenn ich es nicht vergesse. Die Piazza dei Peruzzi wird von einem alten Signor in Ordnung gehalten, ich weiß bis heute nicht, ob er der Parkwächter ist, oder sich hier nur wohl fühlt und die Autos lotst. Er sieht ein bisschen vernachlässigt aus, aber wir grüßen uns immer und ich glaube er kennt mich. Die Osteria delle Brache wartet an der Ecke der Via delle Brache und ihre besten Plätze sind zwei grüne Samtsessel, draußen auf der Piazza. Wenn noch nicht so viel los ist, sitzen hier Naghy, der Neffe des Besitzers, der Besitzer, dessen Namen ich nicht erinnere und sein Bruder, der immer zaghaft lächelt aber selten etwas sagt. Es gibt hier von mir getestetes und ausgezeichnetes Risotto.’Ciao Bella, come stai?’, molto bene, ‘willst du was trinken?’, eigentlich gerne, aber jetzt gerade bin ich in Eile. Da stehen die rot-weißen Stangen in Beton, an einer hatte ich mal mein Fahrrad angeschlossen, dann wurde es geklaut, dann habe ich es mir wieder geholt, mit meiner mutigen Mitbewohnerin Maxi. Ein Stück weiter vorne ist der etwas bedenkliche Prince Pizza Service, nur zum abholen, vielleicht machen sie auch was ganz anderes als Pizza, das weiß niemand. Ein Freund schrieb mir ‘Ich warte vor der besten Pizzeria der Stadt’, wenn ich raus kommen sollte. Neben meiner Haustür ist eine kleine Tastatur: Schlüssel – 9-8-5-6 -Schlüssel, und dann bin ich zuhause.

Woher kam ich? Vielleicht vom Conad, wo ich unter der Taste 104 Zucchini gekauft hatte, Burrata, und Estathé. Vielleicht vom C.Bio, einem Bioladen mit einer geheimen Dachterasse, auf der man in Liegestühlen arbeiten oder rauchen und Cornetti essen kann. Auch je nach gusto. Vielleicht vom Mercato auf der Piazza Sant’ Ambrogio, auf dem ich Orangen aus Sizilien erstanden hatte. Vielleicht von einem Freund, mit dem ich Yatzy gespielt hatte oder Hundequartett oder der Pasta con Basilico gekocht hatte, während ich nicht mithalf. Vielleicht von der Sartoria, in der eine kleine Nonna und ein Nonno eine Ledertasche repariert hatten. Vielleicht vom Panificio Brunori Salvatore, bei dem es Vanille-Schoko-Stangen für einen Euro gibt. ‘Dafür nur einen Euro, wie kann man überhaupt woanders wohnen wollen?’ stellte meine beste florentinische Freundin einmal fragend fest. Und ich weiß auch nicht, wie man kann. 

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Ich will für immer in die Apotheke gehen und ohne Rezept ein kleines Antibiotikum bekommen können, in einer weiß-grünen Papiertüte, die so schön ist, dass ich sie aufheben muss. Ich will in einen Zug steigen und Mittelmeerzypressen sehen, die so gut zu dem Grün passen, in dem sie stehen und am Strand ankommen. Ich will mich von Wassermelone und Eis ernähren, weil es für alles andere zu warm ist. Ich will kurz einen Caffè an der Bar trinken, ständig, weil zu gut, um es nicht zu tun. Ich will zu jeder Tageszeit einen Spritz oder Amaro bestellen können und dazu mindestens eine Zigarette rauchen, ohne das Gefühl, mich erklären zu müssen. Ich will alte, italienische Männer beobachten, wie sie in der Früh, vor allen anderen, die schönsten Plätze ihrer Stadt besuchen, mit ihrem kleinen Hund, in einer dunkelblauen Steppjacke, die ‘La Nazione’ unter den Arm geklemmt. Ich will neben ihnen einen Caffè an der Bar trinken und ihre gutgeschnittenen Sakkos bewundern. Ich will mit meinem Freund Alessandro in den negozi di beneficenza nach eben jenen Sakkos suchen und ein Vintage Givenchy-Kostüm finden. Ich will, dass er mir fünf verschiedene Hemden zeigt und wir uns für zwei entscheiden, die er unbedingt mit nehmen muss. Ich erkenne alles Neueingetroffene, hinterlege Vintage-Prada für Freunde, wenn es mir selbst nicht passt und die alten Lieben beraten mich und schenken mir eine kleine Tasche mit Blumenstickerei dazu, wenn ich wieder zu viel gefunden habe. Sie legen mir Ausgewähltes raus, von dem sie denken, dass es mir gefallen könnte, und grüßen mich als ihre Amica, wenn ich den Laden betrete. Ich will wie ein kleiner italienischer Signor am Arno entlang laufen. Ich will jeden Hund streicheln, jeden Sonnenuntergang knipsen, jeder Touristentraube ausweichen und  mich leise über sie beschweren. Ich will mich so über einen rosa Müllsack freuen, dass ich ihn fotografiere. Ich will in einem hellgrünen Seidenkleid zu Dantes Füßen auf der Treppe der Basilika Santa Croce sitzen und ein ‘Nastro Azzurro’ trinken. Und auch vor der Chiesa di San Remigio und zählen, wie oft der Kopf einer Taube sich vor und zurück bewegt, in einer Minute. Ich will nie wieder nicht dort sitzen, weil ich nicht alleine dort sitze. Ich will heimlich stolz sein, weil ich hier lebe und nicht wieder gehen muss.

Ich will  einen Sonntagsspaziergang in den Giradini Boboli machen und eine Sonntagswanderung im Chianti. Ich will in meinem kleinen feuchten Zimmer aufwachen und die Sonnenstrahlen an der Fassade des Hauses gegenüber sehen und merken, dass ich mir vorstellen könnte, für immer in diesem Zimmer aufzuwachen, obwohl es wirklich sehr klein ist. Ich will sorglos sein, denn es ist immer warm genug. Ich will mich nie overdressed fühlen, weil alle sich gerne schön kleiden. Ciao, Bella! Und auf Nimmerwiedersehen Funktionsjacken und Wollsocken in Nikes. Ich will gelassen dreißig Minuten für ein Sandwich anstehen, ohne Hektik und Frust hinter mir in der Schlange. Ich will in dem größten Freilichtmuseum der Welt wohnen, durch die Uffizien nach Hause laufen und auf der Ponte Vecchio zur Scuola Lingua. Ich will dass es so schön ist, dass alles Schlimme ein bisschen ausgeglichen wird. Ich will etwas studieren, das in Deutschland niemand versteht, aber in Italien ein “Brava!” abstaubt. Ich will mich über schwierige Professoren aufregen und dann ein Cornetto con crema essen, wodurch alles wieder bene ist.  Ich will ein Studienfach besuchen,  für das ich mir Namen von Chefredakteurinnen merken muss. Ich will mich über Gruppenprojekte aufregen und zur Not einfach gehen, non importa. Ich will mit dem Fahrrad zum Piscina di Bellariva fahren, ein Sammontana-Eis essen, niemals das Wasser berühren, weil ich echt keine Badekappe aufziehen kann, aber in der Sonne einschlafen.

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Ich will an etwas arbeiten dürfen und alles was ich kann hinein geben, ohne den Anspruch zu haben, damit die Welt zu verbessern. Ich will Mara und Suzel in der Bibliotheca Pietro Thouar dabei zuhören, wie sie italienische Tierlaute vormachen. Ich will mit meiner besten florentinischen Freundin zur Trattoria dell’Orto gehen und den Nachtisch geschenkt bekommen.  Ich will mit ihr bei ‘il Vivandiere’ Sangiovese schlürfen und zu laut ein Yatzy spielen. Ich will mit ihr auf der Piazza Santa Croce Selfie-Touristen beobachten und vor Erschöpfung auf einer Steinbank zusammen sinken, zu heiß. Ich will so tun als wäre es der Sommer 1983. Ich will mich darauf freuen, nach Hause zu kommen. Ich will jeden Tag bedauern, den ich nicht dort sein kann, weil es mein Zuhause ist. Ich will abends auf die Piazzale Michelangelo steigen und auf einem kleinen Sockel sitzend dabei zu schauen, wie die Stadt wie diesiges Gold vor mir liegt, bis die letzten Sonnenstrahlen langsam und orange-rosa über die Häuser wischen, nur noch an Fiesoles Kirchturm hängen und sich dann verabschieden und Florenz in ein schummriges Lila gehüllt wird, umgeben von blauen Bergen. Ich will Mücken mit meinem Handy zerquetschen. Ich will zahllose Negronis trinken in der “Quelo” Bar, zubereitet von der lieben Barfrau mit Kurzpony und dabei die missverständliche Kunst an den Wänden analysieren. Ich will auf der Treppe der Chiesa Santo Spirito sitzen und die vorüber schreitenden Bobos begutachten. Ich will spontan entscheiden zu Valerie Dore im Blob Club zu tanzen, bis ich nüchtern genug zum Schlafen bin.

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Ich will am Arnostrand in einem Sonnenstuhl rasten bei einem mittelguten Elektro-Event. Ich will auf der Flussmauer sitzen und auf die Ponte Vecchio schauen, auf der sich Menschenmassen für den Sonnenuntergang versammelt haben. Ich will an einem regenreichen Apriltag durch Parks spazieren und den Call Me By Your Name-Soundtrack hören. Ich will im Giardino delle Rose unter einem Olivenbaum ruhen, während die österlich ausgestorbene Stadt vor mir liegt, André Aciman lesen und Erdbeeren essen. Ich will im Giardino Bardini auf meine Life-Goal-Liste schauen und alles abhaken können. Ich will mit lieben Kellnern auf italienisch reden, sie geben sich Mühe langsam zu sprechen, ich gebe mir Mühe, das R zu rollen. Ich will auf den Torre Guelfa steigen und die gesamte Stadt unter mir wissen, außer den Duomo natürlich, und den Palazzo Vecchio. Ich will im Rivarno, unten am Fluss, einen Cappuccino zum halben Preis bekommen und in der Sonne einen etwas schreiben, das ich nie beende. Ich will am Duomo vorbeilaufen, um zu ‘Libri Liberi’ zu gelangen, wo es Spritz für 2,50 gibt. Ich will in den Orti del Parnaso auf die dunkel werdende Stadt schauen und ein bisschen traurig sein. Ich will auf dem Flohmarkt in den Orti Dipinti eine pinke Strohtasche kaufen, zu der mich alle umstehenden  Nonnas beraten hatten. Ich will Aperitivo machen, jeden Tag und dabei Camparispritz trinken, jeden Tag. Ich will bei fast vierzig Grad von Schatten zu Schatten hechten und zuhause vor meinem Ventilator sitzen und schlafen. Ich will im verlassenen August mit wenigen Übriggebliebenen in einem Café schmoren und auf den Abend warten. Ich will die Conad-Kassiererinnen kennen, den Tabacchi-Mann und die Straßenverkäufer mit ihren Bauchläden. Ich will beim Sali e Tabacchi einen Euro weniger für Marlboro Lights bezahlen. 

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Ich will mit einem Lorbeerkranz auf dem Kopf vor meiner palastgleichen Uni stehen und kurz überlegen, ob ich jemals so zufrieden war. Ich will mit meiner Freundin Mei bewegende Gespräche zwischen ihr, mir und Google Translate führen. Ich will am Ufer des kleinen Canottieri Ruderclubs Bier trinken und durch die Bögen der Ponte Vecchio schauen. Ich will auf dem Mercato delle Cascine trödeln und einen Ledermantel beinah geschenkt bekommen. Ich will alle zwei Monate joggen gehen und es soll sich anfühlen, wie ein angebrachter Zeitaufwand für sportliche Betätigung. Ich will meiner besten florentinischen Freundin dabei zu sehen, wie sie Pasta mit Pomodorini und  Stracchino kocht und dabei Sciacatta mit Olivenöl essen und nie wieder etwas über schlechte Kohlenhydrate hören. Ich will, dass mir kleine Vergehen verziehen werden, ohne, dass ich bestraft werde, weil zu wenig Frust besteht, um jemandem das Leben schwer zu machen. Und weil ich auch kleine Vergehen verzeihe. Ich will das Gefühl haben, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein, pausenlos. Ich will endlich lernen, zu spät zu kommen. Ich will den Vorbeigehenden ins Gesicht schauen können, ohne Angst zu haben vor einer Faust.

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Ich will merken, dass nichts so richtig schlimm ist, wenn man mal kurz drüber nachdenkt. Außer natürlich, die Pasta ist zu weich geworden, aber das passiert wirklich selten.

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Coraggio, Amore

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Finito ferie, Focaccia per sempre