Cena Italiana
Was hat ein Cappuccino wohl mit einer Kapuze zu tun? Ich weiß es, denn ich war vor ein paar Tagen zu einem italienischen Abendessen eingeladen. Viele Menschen verbringen mal ein paar Monate in Italien, sei es für ein Auslandssemester, ein Sabbatical oder um die Sprache zu erlernen. Aber kann man behaupten, man habe in Italien gelebt, ohne dort je ein wahres „Cena“ miterlebt zu haben, sprich, mit italienischem Gastgeber? Ich glaube kaum. Das Abendessen also. Es sollte um halb acht beginnen, was es nicht tat, da ich bis viertel nach Acht der einzige Gast war. Wie immer. Auf dem Tisch warteten die Antipasti mit mir: ein Korb voll toskanischem, salzlosem Brot, das man hier auch als Beilage zu einem Teller Pasta isst. Prosciuotto Crudo, ein dünner, italienischer Schinken, eine Platte mit Pecorino, einem Schafskäse, der in jedem Reifestadium verspeist wird, eine riesige Kugel Mozzarella, getrocknete Tomaten und Olivenöl, das ziemlich sicher in der umliegenden Hügellandschaft hergestellt wurde. Von allem beruhigenderweise viel zu viel. Als die Gäste eintrafen, außer mir nur Italiener, begann ein bewegtes Gespräch, das die nächsten vier Stunden nicht enden sollte. Alle hatten diese Art Abendessen seit ihrer Kindheit erlebt, wussten, wie der Mozzarella zerfließen musste, um ein guter zu sein, sagten höflich
„Che ridere!“, wenn etwas witzig war, aber doch nicht genug, um zu lachen. Sie kannten die besten Kombinationen der vielen kleinen Leckereien und lobten und schätzten das Öl, das sie mit ihrem Brot vom Teller wischten. Ich saß dazwischen wie ein Kind an einem Tisch voller Erwachsener, das versucht, dem Hin und Her zu folgen, nicht alles versteht, schnell müde ist, aber auch nichts verpassen will. Als Hauptgang gab es frische Ravioli in Salbeibutter und passend dazu einen Einblick in die florentinische Geschichte, die all meine hier geborenen Freunde eindrucksvoll präsent haben. Sie erzählten von den Kämpfen zwischen Pisa und Florenz, Siena und Florenz, der Schlacht um den Chianti und der Sage des schwarzen Hahns, mir und sich selber, als hätten sie es schon immer so gemacht.
Die um Zehn Uhr beginnende Ausgangssperre hielt niemanden davon ab, weitere zwei Stunden zu bleiben, um das Dessert zu verspeisen: Vin Santo, heiliger Wein, und Cantuccini, die steinharten, weil doppelt gebackenen Mandelkekse - eine toskanische Spezialität. Wir stippten sie in den süßen Wein, bis irgendwann der Gastgeber das Zeichen für den Caffè gab. Das Gespräch schwang zu den verschiedenen Zubereitungsarten des vielleicht beliebtesten italienischen Getränks. Und da erfuhr ich, ob ich wollte oder nicht, dass der Cappuccino nach den Mönchen des Kapuziner-Ordens benannt worden war, die ihn wohl als erstes getrunken hatten, so die Sage. Die Kapuze, „Cappuccio", ihres Umhangs, brachte sie einst selbst zu ihrem Namen. Interessant. Irgendwann musste sich der Gastgeber langsam aber bestimmt erheben, um den Aufbruch zu erzwingen und wir verabschiedeten uns höflich aber herzlich, wie, meiner Meinung nach, Eltern nach einem Abend bei Freunden. Die nächsten Tage konnte ich nichts essen, aber ich hatte ein neues, italienisches Level erreicht.
Diese Kolumne erschien am 12.6.2021 in der HNA