Pasqua e pasquetta
Wenig ist den Italienern so wichtig, wie zusammen zu essen - es dient nicht nur der Nahrungsaufnahme, es ist ein Fest! Im Restaurant folgen auf die Vorspeise als erster Gang ein Teller Pasta, dann ein Fleischgericht als zweiter Gang, dann ein Caffè, dann ein Dolce und dann ein Grappa, mindestens, es kann gar nicht lang genug dauern und geht über Stunden. Essen generell hat eine solche Wichtigkeit, dass die erste Frage abends Zuhause eher „Was gab es zum Mittagessen?“ als „Wie war dein Tag?“ ist, so erzählt es ein amerikanischer Kommilitone meines Sprachkurses, der mit einer Italienerin zusammen ist. Auch mir vertraute ein italienischer Freund einmal an, dass Essen, noch vor der heiligen Familie, seine Prioritätenliste anführe - es ist ein wahres Klischee, dass es einen großen Teil der italienischen Kultur aus macht. In das gemeinsame Essen wird Mühe investiert, ihm wird Zeit gegeben und die Möglichkeit, zu einem Event zu werden, vor allem an Feiertagen. An Ostern etwa, denn da werden Essen und Familie kombiniert. Es gibt das Sprichwort “Natale con i tuoi, Pasqua con chi vuoi” (Weihnachten mit den Verwandten, Ostern mit wem du willst), aber ich weiß aus zuverlässiger Quelle: Auch über Ostern besuchen die Kinder Mamma und Babbo,
egal wie alt sie sind und egal wie weit entfernt sie leben, sie fahren nach hause. Im Gepäck haben sie vermutlich eine Colomba, einen taubenförmigen Osterkuchen, mit Mandeln, kandierter Orangenschale und weißem Perlzucker verziert. Sie ist die Cousine des Panettone, dem berühmten italienischen Weihnachtskuchen und im Supermercato direkt neben den Uove di Pasqua, den Ostereiern für die Kinder, zu finden. In Italien sind das große, als Geschenk verpackte Schokoladeneier, in denen sich eine kleine Überraschung verbirgt, wie etwa eine Barbiepuppe, ein Spielauto, - was man als Kind eben so braucht. Geöffnet werden sie am Ostersonntag, ganz ohne vorher versteckt und gefunden zu werden. Der Sonntag beginnt meist klassisch mit der Messe am Morgen, gefolgt von dem großen Festmahl.
Das Haus ist voll von Verwandten und Freunden, die den Tisch bevölkern und sicher auch die Küche, je mehr von ihnen, desto besser. Als Menü könnte es typischerweise ein Risotto geben, gefolgt vom Osterlamm mit Kartoffeln, dazu, nicht unwichtig, Rotwein. Wenn es endlich Zeit für den Caffè ist, werden die Ostereier geschlachtet und auch der Taubenkuchen und danach schlürft man den „Ammazzacaffè“, einen Likör für festliche Anlässe, ähnlich dem Amaro oder Limoncello. Wer diese Sause überlebt, schlittert direkt in den nächsten Feiertag und den nächsten Schmaus: Ostermontag oder italienisch „Pasquetta“, das „kleine Ostern“. Diesen Tag verbringen die Italiener mit ihrer Freunden im Park, bei einem Picknick, fahren das erste Mal im Jahr an den Strand, jedoch ohne Baden zu gehen, oder veranstalten das erste, ausladende Barbecue der Saison. „Grigliata“, wird es hier genannt, ist in der sommerlichen Jahreszeit eine der Lieblingsbeschäftigungen der Italiener und wird zu jeder Gelegenheit veranstaltet, sei es Ferragosto (der 15. August) oder ein träger Sonntag im Mai - einfach, um mal wieder zusammen zu essen.
Diese Kolumne erschien am 03. April 2021 in der Tageszeitung HNA