Dem Vespahelm folgend
Der Modemonat erreicht Mailand. Nach New York und London erfreut sich die fein gekleidete Gemeinde der Journalisten und Beeinflussenden ein paar wärmender Sonnenstrahlen, Mozzarella reicher Snacks und hechtet von Alberta Ferretti zu Prada zu Max Mara. Ein wuseliges, beschäftigtes Treiben, kein Taxi, Stau. Schweißtropfen perlen von gepuderten Stirnen.
Nicht so Wichtige posen beharrlich in zu großen Hüten und gewaltigen Glitzerensembles auf Gehwegen, versuchen dringend in die Räumlichkeiten der nächsten Modenschau zu gelangen. Sehr Wichtige steigen in Sekundenschnelle aus ihren schwarzen Wagen und werden von der geduldigen Fotografenwand verschluckt. Die blockiert gelassen ganze Straßenabschnitte, wenn eine sehnlich erhoffte blonde Signorina sich entschließt für ein Street-Style Foto zu posieren. Sprintet in pinken Tüll gewickelten Grazien hinter her und wartet so aktiv, dass es unmöglich ist, nicht ein klein wenig unruhig zu werden. Eine schöne Unruhe - die Mailänder hupen, schmettern ein „Ma che cazzo!“ aus dem Autofenster, brettern vorbei, beruhigen sich wieder, schließlich fahren sie durchs Quadrilatero della moda, da passiert so etwas.
In der Traube aus leichtem Wahnsinn braucht es ein kurzes Durchatmen, um sie zu entdecken. Auf den letzten Drücker angekommen, schreitet eine Italienerin unaufgeregt durch die Menge zum Eingang der Showlocation. Die eine Hand richtet goldbefingert das zerzauste Haar, an der anderen schaukelt locker ein weißer Vespahelm. Wie jeden Tag, scheint es. „Ich komme nicht für Fotos, ich brause von Show zu Show, schreibe meine Artikel und freue mich schon auf meinen Negroni sbagliata heute Abend“, signalisiert er friedlich. Er schmiegt sich an die Vintage-Lederjacke und das gemusterte Samtkleid seiner Trägerin, schöner als jede Fendi-Tasche. Verbreitet einen Hauch Normalität, eine beruhigende Selbstverständlichkeit: „Ich schau nur kurz vorbei, dann muss ich auch schon weiter und eigentlich warten bald meine amiche auf mich, in einer Bar in Navigli.“
Vor jeder Show lässt er sich entdecken, der Vespahelm am Arm. In den unterschiedlichsten Farbkombinationen zeichnet er die aus, die in Milano zuhause ist, sich gekonnt auf dem kleinen Motorroller durch die engen Straßen schlängelt, ihren Alltag in der flirrenden Stadt bestreitet. Und kommt meist einher mit den harmonischsten Outfits, fein abgestimmt, italienisch elegant.
Ein Vespahelm ist gerade während der Fashion Week ein klares Symbol von Unabhängigkeit und Flexibilität - kein Warten auf Taxis, kein verschwitztes Rennen, kein genervtes Hinterher-Telefonieren - wo ist denn nur der Chauffeur schon wieder? Wer sich am Vespahelm orientiert findet Schleichwege und bekommt zu Gesicht, wofür doch alle hier sind: Mode so italienisch wie die Drei-Finger-Handbewegung, wie ein Caffè im Stehen an der Bar, wie Pasta als erster Gang.
Übergangsweise kann der Schädelschutz auch als Taschenersatz, Platzfreihalter oder Verteidigungswerkzeug dienen. Fern von all seinen Funktionen ist das Schönste an ihm jedoch seine Nachricht: Ciao, wir sind in Italien, entspannt euch alle mal.